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Robotik trifft auf Tissue-Engineering - Künstliche Gewebe als Therapiekonzept bei Herzinfarkten

Robotik trifft auf Tissue-Engineering - Künstliche Gewebe als Therapiekonzept bei Herzinfarkten

Tissue-Engineering, auch künstliche Gewebezüchtung genannt, ist ein Paradebeispiel für interdisziplinäre Forschung. Durch Erkenntnisse aus Biologie, Medizin und den Ingenieurwissenschaften ist man in der Lage, künstliches Gewebe für eine Vielzahl unterschiedlicher Anwendungen im Labor zu züchten. Diese reichen vom Einsatz als Testobjekt in Laborversuchen über individualisierten Gewebeersatz bis hin zu in Laboren gezüchteten Lebensmitteln.

Ein Meilenstein im Bereich des Tissue-Engineerings war die Entdeckung von induziert pluripotenten Stammzellen (iPSC), für die Shinya Yamanaka und John Gurdon 2012 mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet wurden. IPSC können aus allen im menschlichen Körper vorkommenden Zelltypen gewonnen und in beliebige andere Zelltypen überführt werden. Dabei können diese im Gegensatz zu den zuvor verwendeten embryonalen Stammzellen ohne moralischen Bedenken eingesetzt werden. Als Folge dieses Durchbruchs erfährt das Forschungsfeld Tissue-Engineering seitdem ein erhebliches Wachstum und ist daher auch vielfach in der Forschung am NIFE vertreten. Am Institut für Mechatronische Systeme (imes) läuft im Bereich des Tissue-Engineering derzeit Forschung zu mechatronisch assistierten Therapiekonzepten bei Herzinsuffizienz und automatisierter Fertigung von Herzmuskeln für in-vitro Tests.


Herzkreislauferkrankungen sind mit rund 18 Millionen Toten pro Jahr (2019) die Haupttodesursache weltweit. Der Großteil der Todesfälle ist dabei auf Herzinfarkte und deren Langzeitfolgen zurückzuführen, was die Herzinfarkttherapie zu einem Feld mit großem Forschungsinteresse macht. Während eines Herzinfarktes werden Teile des Herzmuskels nicht mehr mit genügend Sauerstoff versorgt. Folge ist das irreversible Absterben der betroffenen Region. Das verbleibende Herz vernarbt und ist nur noch begrenzt leistungsfähig, wodurch die Lebensqualität der betroffenen Personen stark beeinträchtigt werden kann. Neben einer medikamentösen Therapie der Symptome ist der Ersatz des gesamten Herzens aktuell die einzige Behandlungsmethode. Aufgrund der zahlreichen Risiken und Einschränkungen (stark limitierte Verfügbarkeit von Spenderorganen, lebenslange Immunsuppression, eingeschränkte Lebensdauer von künstlichen Herzen, …) ist der Organersatz keine ideale Lösung und es bedarf der Entwicklung alternativer Therapiekonzepte.


1. Mechatronisch assistierte Therapiekonzepte

Ein Forschungsschwerpunkt am imes ist die technische Unterstützung iPSC-basierter Therapiekonzepte für die Behandlung von Herzinsuffizienz nach Herzinfarkten. Aus dem Wettbewerb „Organersatz aus dem Labor“ des Bundesministeriums für Forschung und Entwicklung (BMBF) sind die Projekte TACTiC und IndiHEART hervorgegangen (1. und 2. Platz). Diese arbeiten in enger Kooperation mit Expert*innen aus Medizin, Physik und Biologie an der Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit des Herzens und der damit einhergehenden Lebensqualitätssteigerung der Betroffenen.

Abbildung 1 Übersicht über die Herstellung und Anwendung von induziert pluripotenten Stammzellen (iPSC). Gewinnung z.B. aus Blutzellen und anschließende Vermehrung. Nutzung zur Züchtung künstlicher Gewebe als Organersatz, für in-vitro Testung von z.B. Medikamenten oder zur Laborzüchtung von Lebensmitteln.

1.1. Hochpräzise Injektion von iPSC ins schlagende Herz

Ein Therapiekonzept ist die Transplantation von Herzmuskelzellen rund um die Infarktnarbe. Im Rahmen des BMBF-Projekts „Tailored Application for Individualized Cell Therapy“ (TACTiC) wird dieser Ansatz für eine individualisierte Zelltherapie mittels eines mechatronischen Applikators erforscht und ausgearbeitet. Ziel ist es, mittels des Applikators die Zellen hochpräzise am schlagenden Herzen direkt in die Herzmuskelschicht zu injizieren.

Die transplantierten Zellen regen dann regenerative Effekte im Herzmuskelgewebe an und sollen so die Leistungsfähigkeit des Herzens verbessern. Die Applikation soll minimalinvasiv erfolgen. Dazu werden zunächst in der präoperativen Planung die MRT-Daten der Patient*innen mittels bildverarbeitender Verfahren ausgewertet, um den Gewebebereich um die Infarktnarbe, die sogenannte Infarktpenumbra, zu identifizieren. Auf Basis dieses zuvor bestimmten, komplexen Zielgebiets wird ein minimalinvasiver Zugang zwischen zwei Rippen zum Herzen freigelegt und die Zellen mittels des Applikators und einer Nadel direkt in den Herzmuskel befördert.

Abbildung 2 Aktuell am imes erforschte Therapiekonzepte zur Behandlung von Herzinfarktnarben. Projekt TACTiC: Injektion von Herzmuskelzellen mittels mechatronischem Applikator direkt in die Herzwand (oben); Projekt IndiHEART: 3D-Druck von individualisierten Herzmuskelpflastern und anschließendes Aufbringen dieser Pflaster auf das geschwächte Herz (unten).

Die größte technische Herausforderung ist die präzise Platzierung und Dosierung der Zellen in der Mitte der dünnen (< 10 mm) Herzwand am schlagenden Herzen. Der am imes entwickelte Applikator ist deshalb mit verschiedenen Sensoren ausgestattet, so dass das Injektionsmodul kontinuierlich vermessen und an die geplante Einstichstelle geregelt werden kann, um die gewünschte Injektionstiefe sicherzustellen. Dabei muss über die Positionsdaten der verwendeten Aktorik und ein Kraftprofil, das durch den Kontakt von Nadel und Herzwand entsteht, die Eindringtiefe bestimmt und eingestellt werden. Um die gewünschte Positionsgenauig-keit am schlagenden Herzen sicherzustellen, wird zudem aktuell erforscht, wie die stetige Herzbewegung über in den Applikator integrierte Mechanismen kompensiert werden kann. Mittels Sensordatenfusion kann die Bewegung des Herzens über einen digitalen Zwilling vorhergesagt werden. Ein weiterer Forschungspunkt ist die Entwicklung eines Mikropumpsystems, dass eine genaue Dosierung der Zellen von wenigen Mikrolitern ermöglicht. Hierbei steht besonders eine gleichmäßige Verteilung der Zellen im Mittelpunkt. Zusammenfassend ist zu erwarten, dass eine auf MRT-Daten gestützte, automatisierte Applikation von iPSC-abgeleiteten Herzmuskelzellen zu einer deutlichen Verbesserung der Zelleinbettung bei einer gleichzeitig höheren Reproduzierbarkeit führt.

Abbildung 3 Verleihung des Tierschutzpreis 2022 durch Dr. Ophelia Nick (Parlamentarische Staatssekretärin BMEL, mittig) an Dr. Tim Meyer (UMG, 2. v.r.) und Leon Budde (imes, 3. v.l.).

Quelle: BMEL/Kira Hofmann/ Photothek

1.2. Implantation von individualisiert 3D-gedruckten Herzmuskeln

Ein weiterer Ansatz ist es, die iPSC nicht in einer Operation direkt ins Herz einzubringen, sondern diese im Labor (in-vitro) zu einem funktionsfähigen künstlichen Herzmuskel zu züchten. Dieser Ansatz wird im Rahmen des Forschungsprojekts IndiHEART erforscht. Ziel des Projektes ist es, patientenindividuelle Pflaster aus humanem Herzmuskelgewebe in-vitro zu fertigen und diese anschließend auf die Infarktnarbe aufzubringen. Das gezüchtete Herzmuskelpflaster ist in der Lage sich mit der Kontraktionsbewegung des restlichen Herzens zu synchronisieren und so eine zusätzliche Kontraktionskraft zu erzeugen. Diese zusätzliche Kraft kompensiert dabei die Teilkraft des Herzens, die durch die Vernarbung verlorengegangen ist. Nach Abschluss des Heilungsverlaufes kann so eine möglichst physiologische Kontraktion des Herzens ermöglicht werden. Da Infarktnarben sehr individuell sind, müssen auch die Herzmuskelpflaster unterschiedlich und an die jeweilige Narbengeometrie angepasst sein. Diese Anpassung geschieht durch Fluidsimulationen, die über den zur Wiederherstellung der physiologischen Pumpleistung nötigen Kraftverlauf den Verlauf der einzelnen künstlichen Herzmuskelfasern berechnen. Dieses Design wird anschließend in einem Bioextrusionsdruck (Biodruck = 3D Druckverfahren mit biologischem Material) gefertigt und das Druckergebnis danach über vier Wochen kultiviert, bis das Herzmuskelpflaster implantiert werden kann. In diesem stark interdisziplinären Projekt liegt der Fokus am imes auf der Entwicklung, Optimierung und Steuerung des Bioextrusionsdruckers. Dieser Drucker setzt sich zusammen aus einem sterilisierbaren Roboterarm und einem Druckkopf. Die Besonderheit an dem Roboter sind seine sechs Freiheitsgerade (FHG), das sind doppelt so viele FHG wie fast alle anderen veröffentlichten Biodruck-Systeme. Mehr FHG bedeutet, dass es  mehr Roboterarmkonfigurationen gibt, um das gleiche Ziel zu erreichen (Redundanzen). Am imes wird deshalb geforscht, wie Orientierungsänderungen während des Druckprozesses genutzt werden können, um das Druckergebnis in Form und Funktion zu verbessern. Weiterer Fokus bei der Entwicklung des Systems ist die genaue und gleichmäßige Dosierung des Druckmaterials, der sogenannten Bioink. Dies ist essenziell für die Formation einer gleichmäßigen Muskelfaser. Ergänzend wird an der Automatisierung des Druckprozesses geforscht, was die  Implementierung von Überwachungsund Regelungsfunktionen zum Beispiel unter Nutzung von Computer-Vision Verfahren erfordert.

Abbildung 4 Vision einer automatisierten Laborzelle zur Fertigung von künstlichem Gewebe zur Medikamententestung. Um die Arbeitszelle angeordnete Inkubatoren werden mittels Roboterarm bedient und mit Werkstücken (gelb) befüllt.

Quelle: imes

2. Automatisierte Fertigung von Herzmuskel-Ringen zur Testung von Medikamenten

Neben iPSC-basierter Therapiemethoden arbeitet das imes auch an der automatisierten Entwicklung künstlicher Gewebeund Organmodelle als zuverlässige Testumgebung für Herzmedikamente. Für die Anfänge dieser Arbeit wurde das imes zusammen mit der die Universitätsmedizin Göttingen (UMG) im vergangenen Jahr mit dem Tierschutzforschungspreis des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ausgezeichnet. 

Hintergrund der Forschung ist, dass aktuell Tierversuche rechtlich vorgeschrieben sind, bevor neue pharmakologische Entwicklungen in vorklinischen Studien an Menschen getestet werden. Zum einen sind Tierversuche moralisch fragwürdig, zum anderen ist die Aussagekraft dieser Tests limitiert, da Erkenntnisse aus Tierversuchen nur eingeschränkt auf den Menschen übertragbar sind. Für Wirkstofftests an Herzmuskeln konnte die UMG bereits Protokolle zur Fertigung von künstlichen Herzmuskelringen etablieren. Wirkstoffe sollen direkt an (künstlichen) menschlichen Herzmuskeln getestet werden und nicht an Tieren. Um diese Geweberinge auch zu einer breit einsetzbaren Alternative für Tierversuche zu machen, arbeitet das imes mit der UMG zusammen an der Automatisierung des Herstellungsprozesses. Nur durch eine Automatisierung wird es möglich, in ausreichender Stückzahl und mit gleichbleibender Qualität Gewebemodelle herzustellen, um eine Skalierung des Verfahrens und damit die Translation in die wirtschaftliche Anwendung schaffen zu können.

Ausblick

Katalysiert durch die Entdeckung von iPSC wächst Tissue-Engineering zu einem immer größeren Forschungsfeld. Geprägt durch interdisziplinäre Zusammenarbeit auf unzähligen Feldern wie etwa Biologie, Chemie, Medizin und Ingenieurwissenschaften wird an künstlichen Geweben als Therapiekonzepte und verlässliche Testumgebung geforscht.

Die Forschung des imes fokussiert sich dabei aktuell auf Herzmuskelgewebe. In zwei Forschungsprojekten werden individualisierte Therapiekonzepte zur Regeneration des Herzens nach einem Herzinfarkt erforscht. Im Gegensatz zu aktuellen Therapien soll die Pumpleistung des Herzens wiederhergestellt werden, ohne dass eine zusätzliche langfristige Behandlung mit Medikamenten nötig ist. Die Lebensqualität der Betroffenen wird im Vergleich zu aktuellen Therapiekonzepten deutlich verbessert.

Zusätzlich wird auch die automatisierte Fertigung von Herzmuskelgewebe-Modellen erforscht, um so langfristig Tierversuche in der Medikamentenforschung ersetzen zu können.